Entscheidung im Fall Lliuya gegen RWE: OLG hält Haftung deutscher Unternehmen für Klimawandel-folgeschäden grundsätzlich für möglich
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- 6. Aug.
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Autorin: Dipl. Jur. Hannah Güntner, LL.B.
Nach einer Verfahrensdauer von nahezu zehn Jahren und Gerichts- und Gutachterkosten von rund 800.000 Euro wurde Ende letzten Monats in Hamm über eine der bisher größten und öffentlichkeitswirksamsten Klimaklagen entschieden (Urt. v. 28.05.2025, Az. 5 U 15/17). Die Tragweite dieser Entscheidung darf nicht unterschätzt werden: Das Gericht hatte die zentrale Frage zu beantworten, ob ein deutsches Unternehmen, das zu den weltweit größten Verursachern von CO2-Emissionen zählt, von einer Privatperson in Anspruch genommen werden kann, die tausende Kilometer entfernt von den Folgen des Klimawandels betroffen ist. Nun hat das Oberlandesgericht (OLG) entschieden: Auch wenn RWE im konkreten Fall wegen einer zu geringen Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nicht haftet, ist eine Inanspruchnahme deutscher Konzerne für Klimawandelfolgeschäden im Grundsatz möglich.
Hintergrund des Verfahrens: Ein Gletschersee in den peruanischen Anden
Ziel der Klage war es RWE als einen der weltweit größten Mitverursacher des anthropogenen Klimawandels für dessen Folgen zur Verantwortung zu ziehen. Konkret vorgeworfen wurde dem Unternehmen durch seinen CO2-Ausstoß zum Klimawandel und dessen Folgen, in diesem Fall konkret zur Gletscherschmelze beizutragen und damit das Heimatdorf des Klägers, dem peruanischen Bergführer und Landwirt Saúl Luciano Lliuya, zu gefährden.
Saúl Luciano Lliuya lebt in Huaraz, einer Stadt am Fuß einer Gebirgskette in den peruanischen Anden. Direkt oberhalb seiner Heimatstadt liegt der Gletschersee Laguna Palcacocha, dessen Pegel durch die klimawandelbedingte Gletscherschmelze immer weiter ansteigt. Dies, befürchtet er, könnte eine gefährliche Flutwelle – eine sog. Glacial Lake Outburst Flood (GLOF) – auslösen, die bis zu seinem Haus vordringt. Um dem vorzubeugen, müsste der Wasserpegel des Gletschersees künstlich abgesenkt werden – eine Maßnahme, die allerdings umgerechnet rund 3,5 Millionen Euro kosten würde.
Mit seiner Klage wollte Saúl Luciano Lliuya bewirken, dass der Energiekonzern RWE sich anteilig an diesen Kosten beteiligen muss, konkret in Höhe von 17.000 Euro. Das entspricht dem Anteil von RWE an den globalen CO2-Emissionen in Höhe von 0,38 Prozent.
Entscheidung des OLG Hamm: Klage „erfolgreich gescheitert“
Jetzt hat das OLG Hamm entschieden: RWE muss sich nicht an den Kosten für die Hochwasserschutzmaßnahme beteiligen, denn in absehbarer Zeit drohe keine ernsthafte Gefahr für das Haus des Klägers. Daraus folgt im Umkehrschluss aber auch, dass bei hinreichender Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts eine Haftung durchaus möglich wäre.
Haftung deutscher Konzerne im Grundsatz möglich
Grundlage der Entscheidung ist eine Norm aus dem deutschen Zivilrecht, § 1004 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB enthält einen Unterlassungsanspruch, nach dem der Eigentümer von dem Störer die Unterlassung „drohender Beeinträchtigungen“ seines Eigentums verlangen kann. Die erforderlichen Kosten der Abwendung muss der Störer dann verschuldensunabhängig tragen. Verweigert der Störer endgültig, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, kann der Eigentümer selbst tätig werden und den Störer bereits vor dem Entstehen der tatsächlichen Kosten wiederrum verpflichten lassen, für diese aufzukommen.
Das OLG Hamm hält eine solche Störer-Haftung deutscher Unternehmen für Folgen des Klimawandels im Grundsatz für möglich und weist im Zuge seiner Entscheidung nahezu alle Einwände zurück, die regelmäßig gegen eine Klimahaftung erhoben werden.
Dem wiederkehrenden Argument, der Anteil von RWE in Höhe von nur 0,38 Prozent an den globalen Emissionen sei zu gering, um das Risiko einer Flutwelle zu erhöhen, widerspricht das Gericht überzeugend. Die relative Geringfügigkeit eigener Emissionen schließe eine Haftung nicht aus, sofern deren Beitrag zu den weltweiten Emissionen einen messbaren, quantifizierbaren Betrag erreiche. Ob der Emissionsbeitrag eines Emittenten erheblich ist, bestimmt sich laut dem Gericht nicht im Vergleich zu den weltweiten Gesamtemissionen, sondern in Gegenüberstellung mit weiteren Emittenten. Hier übersteigt der Anteil von RWE als einer der weltweit größten Emittenten deutlich den eines deutschen Durchschnittsbürgers, genauer um gut über 1.000 Prozentpunkte. Wie gewichtig der Beitrag von RWE ist, zeigt sich auch im weltweiten Vergleich. In der Aufstellung der 81 größten CO2-Emittenten, auf die sich das Gericht in seinem Urteil bezieht, belegt RWE Platz 23, womit sich das Unternehmen mit seinem Beitrag zur globalen Erwärmung auf dem Niveau ganzer Industriestaaten wie Spanien oder Schweden einordnet. Diese Ausnahmestellung des Konzerns war für das OLG Hamm in seiner Argumentation ausschlaggebend, um RWE als Störer einzuordnen. Damit stellte das Gericht gleichzeitig auch klar, dass es nicht zu der befürchteten Haftung „jeder gegen jeden“ kommen wird. Kleinere Unternehmen, Landwirtschaftsbetriebe oder gar Privatpersonen müssen sich um eine ausufernde Haftung also keine Sorgen machen. Nur Großkonzerne mit einem derartigen global signifikanten Emissionsanteil dürften zukünftig als Adressaten eines solchen Schadensersatz-Anspruchs in Frage kommen, im Gegensatz zu Klein- und mittelständischen Unternehmen, wobei eine eindeutige Grenzziehung, ab welchen Emmissionswerten Unternehmen haftbar sind, bislang nicht möglich ist.
Dabei bietet nach Ansicht des OLG Hamm selbst eine nach deutschem Recht bestehende Genehmigung für den Betrieb der Kraftwerke keinen absoluten Schutz vor einer Inanspruchnahme. Das Gericht hielt fest, dass öffentliche Genehmigungen sowie die Einhaltung umweltrechtlicher Grenzwerte nur „indikatorisch“ wirken und eine Haftung nicht automatisch ausschließen. Im vorliegenden Fall vermochte der nach deutschem Recht bestehende Versorgungsauftrag von RWE nicht eine Duldungspflicht gegenüber dem peruanischen Kläger zu begründen. Unerheblich ist für das OLG Hamm dabei die Entfernung zwischen den Kraftwerken des deutschen Energiekonzerns RWE und dem Heimatort des Klägers in Peru, an dem die Folgen des Klimawandels spürbar werden.
Zu geringe Wahrscheinlichkeit einer Flutwelle
Trotz dieser Haltung hat das OLG Hamm die Berufung schlussendlich zurückgewiesen. Grund dafür war die zu geringe Wahrscheinlichkeit einer Flutwelle. Hierfür stützte sich das Gericht auf die vor Ort am Laguna Palcacocha in Huaraz durchgeführte Beweisaufnahme sowie das entsprechende Ergebnis der Sachverständigengutachten. Die Sachverständigen bewerteten die Wahrscheinlichkeit, dass in den nächsten 30 Jahren eine von der Lagune ausgehende Flutwelle ausgelöst wird, die bis zum Haus des Klägers vordringt, mit lediglich einem Prozent – laut dem Gericht zu wenig, um eine „drohende Beeinträchtigung“ im Sinne des § 1004 BGB zu begründen. Zudem sei das erwartbare Ausmaß der Beeinträchtigung überschaubar. Selbst wenn es zu einer Flutwelle käme, würde das Haus des Klägers nur wenige Zentimeter hoch überschwemmt, was die Konstruktion des Hauses nicht beeinträchtigen würde.
Ausblick: Deutsches Zivilrecht als Motor für Klimaklagen?
Damit geht eine der bislang bedeutendsten Klimaklagen zu Ende. Eine Revision hat das OLG Hamm nicht zugelassen. Auch wenn die konkrete Klage gescheitert ist, festzuhalten bleibt: Mit seiner Entscheidung hat das Gericht die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Haftung deutscher Konzerne für klimawandelbedingte Schäden eröffnet. Das deutsche Zivilrecht könnte damit zu einem möglichen Hebel der Klimahaftung großer Treibhausgasemittenten werden – zumindest dann, wenn die Voraussetzungen des § 1004 BGB vorliegen, insbesondere eine konkrete Gefahr im Einzelfall nachgewiesen werden kann.
Ungewiss bleibt allerdings, wie wahrscheinlich eine drohende Beeinträchtigung im Einzelfall sein muss, um einen Anspruch zu begründen. Auch, ob sich andere Gerichte der Ansicht des OLG Hamm anschließen werden, wird sich erst zeigen müssen. Einstimmigkeit besteht über die Argumentationslinie des OLG Hamm bisher jedenfalls keine. So betonten die Oberlandesgerichte Braunschweig, Stuttgart und München (OLG Braunschweig, Beschl. v. 24.06.2024 – 2 U 8/23; OLG Stuttgart, Beschl. v. 08.11.2023, 12 U 170/22; OLG München Urt. v. 12.10.2023 – 32 U 936/23) in Verfahren gegen große deutsche Automobilhersteller bisher, dass eine Haftung ausgeschlossen sei, solange Unternehmen sich innerhalb des öffentlich-rechtlich Erlaubten und ihrer Genehmigung bewegten. Dies steht in klarem Widerspruch zur Haltung des OLG Hamm, wonach eine Genehmigung und die Einhaltung von Grenzwerten maximal ein Indiz aber kein Haftungsausschluss sein kann. Hier bleibt vor allem die Haltung des BGH mit Spannung zu erwarten. Aktuell ist zwar noch keine entsprechende Klage vor dem BGH anhängig, dies könnte aber aufgrund der zunehmenden Zahl an Klimaklagen nicht mehr lange auf sich warten lassen.
„Heute haben die Berge gewonnen – auch wenn es in meinem Fall nicht weitergeht, hat meine Klage Wichtiges erreicht.“ feiert der Kläger Saúl Luciano Lliuya gegenüber der unabhängigen Umwelt-, Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisation Germanwatch (https://www.germanwatch.org/de/93166). Ob dieser Optimismus berechtigt ist, wird unterschiedlich bewertet. Prof. Dr. Jan-Erik Schirmer von der Europa-Universität Viadrina ist guter Dinge. Die Klage sei nur an einem kleinen Detail gescheitert, das sich in Zukunft mit einem anderen Kläger schnell ändern ließe. „Hätte nicht Lliuya geklagt, sondern ein Nachbar mit einem flussnäheren Grundstück, hätten die Sachverständigen […] das GLOF-Risiko wahrscheinlich deutlich höher bewertet“ schreibt er im Verfassungsblog (https://verfassungsblog.de/lliuya-rwe-klimaklage-olg-hamm/). Andere, wie Jannika Jahn, Referentin am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, bleiben hingegen skeptisch. „Ich finde es etwas viel, das Urteil als den großen Wurf zu bezeichnen“, sagt Jahn im Interview mit der Max-Planck-Gesellschaft (https://www.mpg.de/24809085/rwe-klimaklage). Sie sieht vor allem den Schwachpunkt, dass das Gericht sich nicht mit der Frage der Kausalität zwischen dem konkreten Verursachungsbeitrag von RWE und dem Risiko der Flutwelle auseinandergesetzt hat. Hier liege aber der Knackpunkt vieler Klimaklagen.
So oder so: So weit hat es ein Verfahren über die Haftung von Treibhausgasemittenten für Klimawandelfolgeschäden bisher noch nicht geschafft und das Urteil wird von vielen Seiten damit zurecht als historischer Meilenstein gefeiert. Dementsprechend hoch dürfte auch die Motivation zur Einleitung weiterer Verfahren sein und auch Klägervertreterin Roda Verheyen, Partnerin bei der Kanzlei Günther, hat bereits weitere Mandanten, z.B. in Nepal.
Auswirkungen auf die Praxis: Was wir Ihnen raten
Auch wenn die Einhaltung öffentlich-rechtlicher Grenzwerte und Vorschriften weiterhin unerlässlich bleibt, vermag dahingehende Compliance allein nicht länger eine Haftung auszuschließen. Für Großemittenten mit einem weltweit signifikanten CO2-Ausstoß bedeutet die Entscheidung des OLG Hamm eine Ausweitung des Haftungsrisikos für Klimawandel- und Klimawandelfolgeschäden im zivilrechtlichen Bereich.
Für kleinere und mittlere Unternehmen (KMUs) sowie Landwirtschaftsbetriebe hingegen ordnen wir das Risiko, für Klimawandelschäden in Anspruch genommen zu werden, weiterhin als gering ein. Ein konkreter Schwellenwert, den die jährlichen Emissionen eines Unternehmens unterschreiten müssen, um mit Sicherheit von einer Haftung verschont zu bleiben, lässt sich dem Urteil zwar nicht entnehmen. Dennoch besteht unserer Einschätzung nach für Sie kein akuter Handlungsbedarf.
So war die absolute Ausnahmestellung von RWE als einen der weltweit größten Emittenten von CO2, für das OLG ausschlaggebend, eine Haftung in Betracht zu ziehen. Solange Ihr CO2-Fußabdruck folglich keine vergleichbare Größe einnimmt, ist es unserer Meinung nach unwahrscheinlich, dass Sie sich Ansprüchen ausgesetzt sehen. Hinzu kommt – so das OLG Hamm selbst – dass Klimaklagen äußerst kostenintensiv und zeitaufwändig sind, was eine Ausweitung des Beklagtenkreises auf KMUs schon aus finanziellen Gründen unwahrscheinlich erscheinen lässt. Vielmehr ist aus unserer Sicht zu erwarten, dass auch weiterhin nur gegen die weltweit größten Treibhausgasemittenten Verfahren eingeleitet werden. Dies macht auch aus Sicht der Kläger Sinn, immerhin ist ein nicht zu vernachlässigendes Ziel von Klimaklagen die Beeinflussung des gesellschaftlichen und politischen Diskurses, was sich mit öffentlichkeitswirksamen Klagen gegen große Konzerne wesentlich besser erreichen lässt.
Für KMUs dürfte das Urteil damit vorerst keine bis geringe Auswirkungen haben. Da mit der Entscheidung des OLG Hamm aber noch nicht das letzte Wort zur Klimahaftung gesprochen sein dürfte, empfehlen wir Ihnen, neue Entwicklungen stets zu verfolgen und für Ihr Unternehmen zu bewerten.





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